Virtual Enterprise Builder - .NET-basierte Plattform erhöht die Marktpräsenz vernetzter Unternehmen

Veröffentlicht: 07. Aug 2002 | Aktualisiert: 22. Jun 2004

Von Ingo Paszkowsky und Adrian Schuster

Das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK), Berlin, ermöglicht es kleinen und mittelständischen Zulieferunternehmen, sich effizient untereinander zu vernetzen und ad hoc virtuelle Unternehmen zu bilden. Die Plattform dafür basiert auf Microsoft .NET und ist eine Gemeinschaftsentwicklung des IPK und weiterer europäischer Partner. Sie unterstützt die Zuliefererunternehmen, sich flexibel in die neu formierten Supply Chains großer Abnehmer einzupassen und dadurch ihre Marktpräsenz auch unter schwierigen Bedingungen zu sichern.

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Web-Plattform für flexible KMU-Vernetzung Web-Plattform für flexible KMU-Vernetzung
Prozessunterstützung entlang der Wertschöpfungskette Prozessunterstützung entlang der Wertschöpfungskette
Einfach, schnell und kostengünstig - .NET-Integration mit XML Einfach, schnell und kostengünstig - .NET-Integration mit XML
Ausblick und Fazit Ausblick und Fazit

Verstärkt optimieren große Unternehmen ihr Supply Chain Management. Es geht ihnen dabei in erster Linie um eine Reduktion der Koordinations- und Logistikkosten sowie um die Fähigkeit, flexibler als bisher auf die dynamischen Anforderungen des Marktes reagieren zu können.

Andererseits konfrontiert dieser Trend den zuliefernden Mittelstand und die kleineren Subzulieferer mit zum Teil dramatischen Folgen: Um bis zu 90 Prozent (Bahntechnik) hat manch ein Großunternehmen seinen direkten Zulieferstamm in den letzten Jahren reduziert. So auch in der Automobilindustrie, wo die traditionelle Zuliefer-Abnehmer-Beziehung, wie sie für fünfzig Jahre galt, praktisch nicht mehr vorkommt. Fast ausschließlich werden hier komplexe Systemleistungen mit hohem Koordinationsaufwand gefordert, die zudem innerhalb immer kürzerer Fristen erbracht werden müssen.

"Kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) mit einem begrenzten Portfolio ausgewählter Teilprodukte oder Verarbeitungskompetenzen stellt diese Entwicklung vor massive Probleme. Auf sich allein gestellt, sind sie nicht in der Lage, Komplexleistungen, wie etwa die Lieferung kompletter Frontends für einen Automobilhersteller, zu koordinieren. Sie verfügen einfach nicht über die erforderliche Infrastruktur", konstatiert Burkhard Schallock, Abteilungsleiter Unternehmensverbünde im Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK), Berlin. Immer mehr ehemalige Zulieferer müssten sich daher mit schlecht rentierenden Unteraufträgen oder mit der Abfederung von Kapazitätsengpässen in Stoßzeiten begnügen. Letztlich drohe ihnen die endgültige Verdrängung vom Markt, denn diese Funktion des Teilelieferanten und Kapazitätsausgleichs wird von osteuropäischen Zulieferern zunehmend wahrgenommen.

Web-Plattform für flexible KMU-Vernetzung

Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, müssen die Zulieferunternehmen Netzwerke bilden und neue, hochflexible Kooperationsformen entwickeln. Konkret geht es darum, vorhandene Kompetenzen auftragsbezogen in einem Netzwerk zu bündeln und zeitnah in ein gemeinsames Angebot für produktionstechnische Komplettleistungen umzusetzen. "Auf konventionellem Weg ist das kaum möglich, jedenfalls nicht innerhalb gängiger Ausschreibungsfristen", urteilt Burkhard Schallock. Zu groß sei der Aufwand für notwendige Abstimmungen und Verhandlungen für das Gemeinschaftsangebot - zumal ohne Modellierung eines entsprechend detailreichen Fertigungsplans.

In dieser Situation unterstützt das IPK mittelständische Zulieferunternehmen mit der Web-Plattform VIENTO, auf deren Basis sich KMU-Netzwerke flexibel organisieren und ad hoc virtuelle Unternehmen bilden lassen. (Der Name VIENTO variiert ein Akronym von ‚Virtual Enterprise Builder'). VIENTO ist ein Gemeinschaftsprojekt des IPK und weiterer Partner, unter anderem aus Griechenland und Portugal, und wird von der Europäischen Union gefördert. Übergeordnetes Ziel von VIENTO ist es, dem Mittelstand und vor allem auch kleinen Unternehmen zu ermöglichen, sich in die neu formierten Supply Chains der großen Abnehmer einzupassen und damit ihre Marktpräsenz zu sichern.

Die Lösung wird regional begrenzten Netzwerken ebenso gerecht wie der überregionalen KMU-Kooperation auf internationaler Ebene. So lassen sich beispielsweise auch Unternehmen aus Slowenien, Tschechien, Polen oder Ungarn in eines der westeuropäischen KMU-Netzwerke integrieren. Ein Beispiel dafür bietet das Oberelbe-Netzwerk Dresden, das Zuliefererunternehmen für Großabnehmer wie BMW koordiniert und auch tschechische Partner umfasst. Nach Angaben des Observatory of European SMEs, einer Einrichtung der Europäischen Kommission (Report 2002, Nr. 3), haben sich außerhalb Deutschlands bis heute europaweit mindestens 937 derartige Unternehmensnetze etabliert.

 

Prozessunterstützung entlang der Wertschöpfungskette

VIENTO stellt Prozessunterstützungen für alle Phasen der Wertschöpfungskette bereit. Das beginnt bei der Systematisierung aller im Netz verfügbaren Produkte und Kompetenzen und setzt sich bei der Beschreibung eines Auftrags mit der objektorientierten Modellierung eines entsprechenden Fertigungsprozesses mit kompletter Stückliste fort. Diese Aufgabe übernimmt in VIENTO ein integrierter, Java-basierte MooGo Viewer und ein C++-basiertes MooGo-Modellierungswerkzeug, ebenfalls Entwicklungen des IPK. Prinzipiell kann stattdessen aber auch ein beliebiges anderes System eingebunden werden.

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Virtual Enterprise Builder - VIENTO ermöglicht es KMU, gemeinsam komplexe Systemleistungen zu erbringen, einen Platz in der Supply Chain zu besetzen und damit letztlich ihre Marktpräsenz zu sichern.

Auf der Basis von Prozessmodell plus Stückliste lassen sich nun im Netzwerk leistungsfähige Partner für den angefragten Auftrag selektieren und anschließend Konditionen und Liefertermine effizient verhandeln. "Um durchschnittlich 75 Prozent, von 4 bis 8 Wochen auf 5 bis 14 Tage, verkürzt VIENTO die für ein Gemeinschaftsangebot erforderliche Zeit", berichtet Burkhard Schallock. Im Erfolgsfall kann das KMU-Konsortium, das für die Zeit der Auftragsbearbeitung als gemeinsames virtuelles Unternehmen agiert, für die Fertigung eins zu eins auf dem Prozessmodell von MooGo aufbauen.

 

Einfach, schnell und kostengünstig - .NET-Integration mit XML

Eine der entscheidenden Herausforderungen bei der Entwicklung von VIENTO umreißt Agu Augustian, projektverantwortlicher System Analyst/Application Developer der IPK-Abteilung Unternehmensverbünde: "Die Partnerunternehmen verwalten ihre relevanten Produkt- und Leistungsdaten in unterschiedlichsten ERP-Systemen zum Beispiel von SAP oder BAAN. Kleinere Unternehmen speichern ihre Produktkataloge oftmals noch in Excel-Listen oder Access-Tabellen; gerade hier sind weder ausreichend Kapazitäten, noch das entsprechende Know-how für komplizierte B2B-Lösungen vorhanden. Die Kommunikation unter VIENTO sollte daher einfach, aufwandsarm und störungsresistent sowie für Partnerunternehmen kostengünstig sein."

Und dies waren keineswegs die einzigen Argumente für den Einsatz von XML Web services auf der Basis des Microsoft .NET Frameworks: Alternative Open Source Plattformen, so Agu Augustian, böten keine mit Visual Studio .NET vergleichbaren Entwicklungsumgebungen. Hierbei geht es nicht nur um die Frage der Entwicklungskosten, sondern auch um den Faktor Zeit - und der ist im Fall von VIENTO ein hochkritischer: "Microsoft Visual Studio .NET ermöglicht Rapid Prototyping, so dass wir unseren Referenznetzen sehr schnell eine erste VIENTO-Version zur Verfügung stellen konnten", hebt Agu Augustian die kurze Realisierungszeit hervor.

Für das Management des gemeinsamen Produkt- und Leistungskatalogs in einem KMU-Netzwerk nutzt VIENTO den Microsoft BizTalk Server 2000, so dass keinerlei Schnittstellen-Programmierung zwischen technologiefremden Systemen erforderlich war. Konkret sorgt eine ‚xchain' genannte Web-Anwendung für den Abgleich mit den diversen ERP-Systemen und relevanten Datenquellen der vernetzten KMU. Dabei übersetzt der Web-Client von xchain die Daten nach XML und reicht sie anschließend an den Microsoft BizTalk Server zum Aufbau eines zentralen Repository weiter. Auf der Seite des Netzunternehmens ist hierfür lediglich ein einmaliges Mapping erforderlich, das eine Konkordanz zur jeweiligen Feldstruktur herstellt. Im Einzelfall können Partner dabei Hilfe vom IPK in Anspruch nehmen.

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70 Prozent weniger Übertragungsfehler bei 30 Prozent weniger Aufwand - xchain übersetzt Produkt- und Leistungsdaten direkt an ihrer Quelle nach XML.

Sobald ein Großabnehmer einen Auftrag ausschreibt, tritt das ‚Negotiation Table' in Aktion. Es greift auf die SQL Server 2000-Datenbank von VIENTO zu, deren XML-Fähigkeiten dank SQLXML Web Release stark erweitert wurden (siehe Kasten). Dadurch kann VIENTO das grafische MOOGO-Prozessmodell für die Fertigung samt Stücklisten und allen Zusatzinformationen wie Preisen, Verpackungsvorschriften oder Sonderkonditionen in einem einheitlichen Kontext übersichtlich darstellen. Ohne Zeitverzug können die Verhandlungen mit den Kandidaten für das Virtual Enterprise beginnen. Und dabei geht es nicht nur um den notwendigen Konsens über Konditionen und Termine, sondern ebenso um das Feintuning und die Optimierung des Gemeinschaftsangebots - letztlich also um die Umsetzung von Kooperationssynergien in konkrete Wettbewerbsvorteile. Im Erfolgsfall beendet die Abarbeitung des Auftrags den Lebenszyklus des virtuellen Kooperationsunternehmens.

XML Web Services und SQL
Bereits in der 3. Version stellt Microsoft ein XML Web Toolkit für den SQL Server 2000 bereit: SQLXML 3 ermöglicht eine effiziente Erstellung von Web Services auf der Grundlage bestehender SQL Server 2000-Daten oder -Anwendungen. Das Toolkit ist erstmals vollständig in die Entwicklungsumgebung Visual Studio .NET integriert. Es ergänzt zudem das .NET Framework und stellt C# sowie Visual Basic .NET alle erforderlichen Funktionalitäten zur Verfügung. Mit SQLXML 3 überwindet Microsoft endgültig die letzte Barriere, die bislang die SQL Server-Datenbankwelt vom XML-basierten Web Service-Konzept trennte.

 

Ausblick und Fazit

Die künftige Entwicklung der .NET-basierten KMU-Kooperation mit VIENTO beginnt sich bereits abzuzeichnen. Unternehmensnetze höherer Ordnung entstehen: Kann eine Leistung beispielsweise im eignen Netzwerk nicht zu den erforderlichen Bedingungen erbracht werden, fragt VIENTO assoziierte Netze ab und integriert gegebenenfalls ein netzfremdes Unternehmen in das Virtual Enterprise. Dieser Fall ist auch dann von Bedeutung, wenn die Ausschreibung Restriktionen enthält, wonach das Auftragsvolumen anteilig in einer bestimmten Region realisiert werden muss, zum Beispiel weil regional gebundene Fördergelder im Spiele sind.

Die .NET-Technologie erweist sich zunehmend als eine stabile und vor allem zukunftsfähige Basis für die europaweite Vernetzung des zuliefernden Mittelstands. Das herkömmliche Bild einer fest gefügten Supply Chain weicht unter VIENTO einem hochflexiblen Supply Network, das den wachsenden Marktanforderungen in der Zulieferindustrie tatsächlich gerecht werden kann.

Dass VIENTO seine Marktreife in der - gemessen an der Komplexität des Projekts - äußerst kurzen Frist bis zum Anfang des kommenden Jahres erreichen wird, ist der gestiegenen Entwicklerproduktivität unter Microsoft Visual Studio .NET zu danken. (KMU werden vom IPK somit zeitnah unterstützt und nicht erst, wenn es für viele von ihnen zu spät wäre.) Die Kostenvorteile, die sich aus einer deutlich vereinfachten Softwarewartung für .NET-basierte Web-Anwendungen sowie aus aufwandsarmer, durchgängig XML-basierter Kommunikation ergeben, kann das IPK im Rahmen eines Provisionsmodells direkt an die vernetzten Partner weitergeben. Zusätzliche Kosten entstehen den KMU durch VIENTO nicht, da auf der Client-Seite lediglich ein internetfähiger PC mit Web-Browser erforderlich ist. Burkhard Schallock resümiert: "Durch den Einsatz der .NET-Technologie von Microsoft ermöglicht es VIENTO kleineren und mittelständischen Zulieferunternehmen, innerhalb flexibler B2B-Netzwerke ihre Marktposition auf besonders kostengünstigem Wege auszubauen."

Fraunhofer IPK - Forschung und Entwicklung für die Praxis
Traditionell betreibt das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK angewandte Forschung und Entwicklung im Bereich zukunftsorientierter Technologien für Produktionsprozesse in Fabriken. Zunehmend erschließt sich das Institut aber auch weitergehende Forschungsfelder, etwa in den Bereichen Medizintechnik, Servicerobotik, Umwelt-, Verkehrs- und Qualitätsmanagement, Management der Globalisierung, virtuelle Produkt- und Prozessentwicklung, Produktherstellung, Prozessführung und -optimierung sowie Sicherheits- und Prüftechnik. Die neuen Anwendungen der Geschäftsprozessoptimierung und des Wissensmanagements finden sich bei der Polizei, der Bundeswehr, in Krankenhäusern und der Lebensmittelindustrie.

Eine wesentliche Zielstellung der IPK-Projekte ist es, Basisinnovationen in praxistaugliche Anwendungen für industrielle und öffentliche Auftraggeber umzusetzen. Dabei geht es insbesondere auch darum, kleineren und mittelständischen Unternehmen einen Zugang zu innovativen, kostengünstigen und umweltfreundlichen Lösungen zu ermöglichen.

Fokussiert sind die Forschungsarbeiten zumeist auf Methoden und Verfahren zur Produktivitätssteigerung bei der Produktentwicklung und -herstellung sowie deren Integration in komplexe Produktionsanlagen. Das Leistungsangebot ist dabei so konzipiert, dass Unternehmen von der ersten Idee über die Produktentwicklung und Herstellung bis hin zu einer möglichen Wiederverwertung unterstützt werden können.

Auf insgesamt 7.100 Quadratmeter Büro-, Labor- und Testfläche beschäftigt das IPK derzeit in Berlin und Hennigsdorf sowie in Indonesien über 250 Mitarbeiter und ist in die Fraunhofergesellschaft mit 11.500 Mitarbeitern und in ihre internationalen Aktivitäten eingebunden.

Microsoft Lösungskomponenten
Server:
Microsoft Windows 2000 Advanced Server
Entwicklungsplattform:
Microsoft Visual Studio .NET (bereits in der Beta-Version)
Microsoft SQL Server 2000 Enterprise Edition
Microsoft Visio 2000 (Workflow-Modellierung)
Betriebsplattform:
Microsoft Windows 2000 Advanced Server
Microsoft .NET Framework
Microsoft BizTalk Server 2002
Microsoft SQL Server 2000 Enterprise Edition
SQL XML Web Release 1
Frontend:
Web-Browser

Anwender:
Herr Agu Agustian
Fraunhofer Institut Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik
Pascalstraße 8-9
10587 Berlin
Telefon: (030) 390 06-161
Fax: (030) 391 10 37
E-Mail: agu.agustian@ipk.fhg.de
Internet: www.pronetz-online.de

Herr Burkhard Schallock
Fraunhofer Institut Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik
Pascalstraße 8-9
10587 Berlin
Telefon: (030) 390 06-163
Fax: (030) 391 10 37
E-Mail: Schallock@ipk.fhg.de
Internet: www.pronetz-online.de